Weniger ist mehr

Jeder Deutsche gibt anlässlich der Fußball-Europameisterschaft durchschnittlich 64 Euro für Fanartikel aus – das hat ein Vergleichsportal herausgefunden. Eine kurzfristig durchgeführte repräsentative Umfrage in Punkto Kaufbereitschaft (drei Befragte) ergab einen Wert von „höchstens einem Euro (für Fanschminke)“. Das heißt: Außerhalb unseres Büros warten Menschenmassen nur darauf, mit allem möglichen Unsinn beglückt zu werden, solange er nur irgendwas mit dem runden Leder zu tun hat. Oder?

Auf den ersten Blick stimmt das. Es gibt kaum ein Produkt, das nicht in schwarz-rot-gold eingefärbt und als „EM-Edition“ in den Handel geworfen wurde: Der Deutschland-Fan putzt sich die Zähne mit der „Fußball-Zahncreme“, bevor er sich die „Europameister“-Nougatcreme aufs Weltmeisterbrot schmiert. Dabei sinniert er vielleicht beim Blick auf den in den deutschen Nationalfarben eingefärbten Kaktus (!) über die Aufstellung gegen Polen. Zum Mittagessen hat er die Wahl zwischen Meister-Bolognese, Gewinner-Gulasch und Torjäger-Spaghetti. Wenn er dabei kleckert, hat er zum Glück „Ausputzer“-Klopapier (!!) direkt zur Hand. Danach streift er sich sein neues Trikot über, wickelt sich in eine Deutschlandflagge, schlüpft in seine EM-Flip-Flops, schnappt sich den Riesenbecher „Olé Olé Olé Olé“-Fußballpopcorn (!!!) und geht zum Public Viewing. Das Shirt wäscht er danach mit dem offiziellen Waschmittel der Nationalmannschaft, die Haare mit der „Fan-Edition“ seines Shampoos. Dann kuschelt er sich in seine EM 2016-Bettwäsche. Nein, ich habe mir keins dieser Produkte ausgedacht. Den Beweis findet ihr hier. Und hier. Und hier.

Offensichtlich ist flächendeckend das Fußballfieber ausgebrochen. Das lässt sich sicher für die Unternehmenskommunikation nutzen. Also kramt die aktuelle Pressemitteilung nochmal raus und legt den Rotstift bereit, wir trimmen sie jetzt auf EM. Ihr habt ein tolles Geschäftsquartal hinter euch? Dann spielt ihr Champions League! Ihr präsentiert ein neues Produkt? Ein Volltreffer, natürlich. Habt ihr etwa einen Preis gewonnen? Wie langweilig! Natürlich habt ihr euch den Titel gesichert! Das neue Beratungsangebot? Passt genau in den Winkel! Das System ist also genial einfach.

Leider nicht einfach genial – ganz im Gegenteil. Das liegt am absoluten Fußball-Overkill. Wenn alles schwarz-rot-gold ist, ergibt das eine dreifarbige Masse, aus der nichts hervorsticht. Der Zeitungsredakteur seufzt nur noch kurz, wenn er bei der 20. Pressemitteilung mit erzwungenem Fußballbezug auf Löschen klickt. Nicht nur er! Natürlich gibt es sie, die Hardcore-Fans, die auf der Fanmeile in der ersten Reihe stehen und den jeweiligen Turniersong unter der Dusche singen. Aber es gibt mindestens genauso viele Fußballfreunde, die einfach nur das Spiel genießen wollen, ja, die sich nicht einmal um die deutsche Nationalmannschaft scheren. Diese Fans fühlen sich eher abgestoßen von der Omnipräsenz des schönen Spiels. Sie mit fußballbezogenen Pressemitteilungen oder „EM-Sondereditionen“ anzusprechen ist genauso effektiv wie ein Fleischbuffet für Vegetarier.

Heißt: Nur, weil gerade eine Fußball-Europameisterschaft stattfindet, müsst ihr nicht alles auf Fußball trimmen. Natürlich spricht nichts dagegen, das Thema kommunikativ aufzugreifen – Möglichkeiten gibt es ja genug: Bilder vom selbst veranstalteten Public Viewing, ein Tippspiel oder einen Blogbeitrag. Im Mittelpunkt eurer Kommunikationsstrategie muss aber immer euer Unternehmen stehen. Da dieser Text von einem Fußballfan geschrieben wurde, muss er natürlich mit Floskeln enden: Lasst euch keinen Spielstil aufzwingen, der nicht zu euch passt. Bleibt lieber in Ballbesitz und erspielt euch selbst Chancen!

Und habt vor allem weiterhin viel Spaß mit der EM!

Fußball EM Stil Event

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